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Rezension Juni 2006

Micrologus:
Landini. Fior di dolceca
Harmonia mundi

Kraftvoll und vielseitig

Die CD "Fior di dolceca" des Ensembles Micrologus mit Kompositionen von Francesco Landini ist eine gelungene Einspielung mit einem sehr persönlichen, intimen Klang und bietet einen guten Überblick über die Bandbreite des Schaffems dieses Komponisten.

Vorweg: Das ist eine CD der Sparte Historische Aufführungspraxis. Das bedeutet, daß sich die Ausführenden im Notentext und auch mit ihrem Instrumentarium die historischen Quellen zum Vorbild nehmen und auch an diesem Anspruch gemessen werden sollten.

In diesem Sinne verwendet auch das Ensemble Micrologus Instrumente, wie sie in der Zeit von Francesco Landini abgebildet wurden, und hält sich weitgehend an die Fassung der Stücke, wie sie in Handschriften der Zeit, etwa im Squarcialupi-Codex, überliefert sind. Auch wenn das Booklet davon spricht, daß Instrumemtalisten ihren Part durch improvisationen verändert, so beschränken sich die Mitwirkenden hier doch weitgehend darauf, kleinere Verzierungen anzubringen sowie die Stimmen auf die verschiedenen Mitwirkenden zu verteilen und Teile der Komposition als instrumentale Vor-, Zwischen- oder Nachspiele zu verwenden. Der Anspruch der Historischen Aufführungspraxis wird hier also voll eingelöst.

Auf dieser CD gibt es insgesamt zehn Mitwirkende. Fünf davon sind Sänger. Es gibt vier Instrumentalisten, mit Laute, Chitarrino, Rebec, Ribecona, Fidel und gleich zwei Portativ-Spielern; eine der Mitwirkenden singt und spielt gotische Harfe.

Die kraftvolle Stimmgebung der Sänger ist wohl auch angepaßt an den Klang der Instrumente. Auch Portativ und Fidel erklingen ohne Vibrato und können gelegentlich etwas kratzig oder hauchig sein. Und hier wurde nichts geschönt durch die Zugabe von künstlichem Hall. Insgesamt ist der Sound sehr persönlich, der Hörer scheint dicht bei den Musikern zu sein - vermutlich waren auch die Mikrophone vergleichsweise dicht bei ihnen aufgestellt. Die Aufnahme wird dadurch sehr klar und durchsichtig. Wer allerdings vor allem die Aufnahmen mittelalterlicher Musik mit starkem Hall und mystischer Atmosphäre liebt, wird hier etwas vermissen.

Der Nachteil dieser großen Besetzung: Zum Teil sind für meinen Geschmack in einzelnen Stücken etwas zu viele Mitwirkende eingesetzt worden. So etwa in der Ballata Vaga fanciulla, in der nacheinander ein Instrumentalist nach dem anderen einsetzt, so daß der Hörer nur noch den Einsatz weiterer Instrumente erwartet, anstatt wirklich zuzuhören. Bei anderen Stücken ergeben sich registerartige Wirkungen, wenn einzelne oder alle Stimmen in unterschiedlichen Oktaven erklingen.

Das kollidiert auch ein bißchen mit den Angaben im Booklet, in denen nur Beispiele für die solistische Ausführung der Stücke gebracht werden, und den Hinweisen, daß Instrumente normalerweise aus dem Kopf spielten und an die Ausdrucksmöglichkeiten ihres Instrumentes anpaßten. Ich stelle es mir auch als unwahrscheinlich vor, daß mehrere Ausführende einer Stimme alle gleichartig diejenigen Vorzeichen ergänzten, die in der Handschrift nicht stehen, die aber - mit einem gewissen Ermessensspielraum - die Musikpraxis vom Ausführenden forderte.

Die Ballata Che pena e quest'al cor (Track 2) erinnert mit dem hochvirtuos gespielten Portativ an die alte Einspielung von Stücken Landinis vom Studio der frühen Musik unter der Leitung von Thomas Binkley aus dem Jahr 1973. Im gleichen Stück bietet die Harfe einen überraschenden Effekt. Sie klingt nämlich zunächst gar nicht nach einer Harfe: Ist es ein tiefes Streichinstrument, oder vielleicht ein tiefes Doppelrohrblattinstrument, vielleicht ein Rankett? Des Rätsels Lösung sind die Schnarrstege der Harfe, die den Ton verfremden.

Zumindest auf den ersten Blick wirkt die Aufmachung gut. Es gibt ein dickes Booklet, das sowohl einführende Texte zum Komponisten Landini, zur italienischen Ars nova, zur Verwendung von Stimme und Instrumenten, zur Interpretation der Stücke durch Micrologus, und über das Ensemble selbst, sowie alle Texte der Lieder enthält. Leider sind diese Texte aber nicht auch ins Deutsche übersetzt worden, sondern nur aus dem Französischen ins Englische. Das ist aber - im Hinblick auf den Rest - zu verschmerzen.

© 31. Mai 2006 Karen Thöle